In der aktuellen Ausgabe von FliegenFischen durfte ich ein Interview mit Dr. Axel Wessolowski führen.
Ein Wohnzimmer fürs Kleinvieh
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Ein Wohnzimmer fürs Kleinvieh
Die Verfestigung (Kolmation) des Bachbettes ist in einigen Gewässern zum Problem geworden: Lückenraum im Substrat geht verloren, Gewässer verarmen. Stefan Baur schafft künstliche Lebensräume für Fischnährtiere. Nils Anderson vom Schweizer Schwestermagazin Petri Heil hat den Tüftler und Fliegenfischer in Safenwil besucht.
Die möglichen Gründe für eine Verhärtung des Gewässergrundes sind vielfältig. Das Ergebnis ist jedoch stets das gleiche: Makrozoobenthos wie zum Beispiel Bachflohkrebs, Köcherfliege oder Steinfliege haben es schwer, einen geeigneten Lebensraum zu finden. Und wo das Makrozoobenthos zurückgeht, fehlt den Fischen eine wichtige Nahrungsgrundlage. Der Verhärtungsvorgang, in der Fachsprache Kolmatierung oder Kolmation genannt, ist ein zunehmendes Phänomen in unseren Fließgewässern. Das Problem nimmt nicht nur zu, weil Verbauungen die Dynamik der Sedimente unterbrechen, sondern auch, weil die Niederschläge in den letzten Jahren vielerorts merklich zurückgegangen sind und damit die Selbstreinigungskraft der Bäche und kleineren Flüsse eingeschränkt wurde. Zudem verschlimmern stoffliche Einträge aus Verkehr, Landwirtschaft und Abwässern vielerorts die Lage.
Wo das Flussbett „dicht macht“, können die Körbe, die Stefan Baur einbringt, für Lebensraum und Nahrung für Bachflohkrebs und Co sorgen.
Schon nach kurzer Zeit wurde das Stroh im Korb von Köcherfliegen und Bachflohkrebsen besiedelt. Nach einigen Monaten wurde durch Fraß der Großteil aufgebraucht, und es muss Stroh nachgelegt werden.
STROH ALS NAHRUNGSGRUNDLAGE
Findige Aargauer Fischer experimentieren seit einigen Jahren mit einem ursprünglich in Schweden entwickelten Verfahren, um die negativen Effekte der Kolmation abzuschwächen. Vor allem Bachflohkrebse ernähren sich überwiegend von abgestorbenem, organischem Material, sogenanntem Detritus. So wird beispielsweise das Falllaub, welches im Herbst auf den Gewässergrund sinkt, von diesen Kleintieren zersetzt. Wo viel Futter vorhanden ist (und die Wasserqualität stimmt), vermehren sich die Bachflohkrebse prächtig, und davon wiederum profitieren die Fische. Neben dem Futter braucht es aber auch den geeigneten Lebensraum für diese Tiere. Stroh in Futterkörben leistet dafür optimale Dienste im doppelten Sinn: Die hohlen Strohhalme lassen sich von den Larven und Bachflohkrebsen bestens besiedeln und bieten eine üppige Nahrungsgrundlage. Gleichzeitig halten die langen Halme gut im Gitterkorb und werden nicht herausgespült. So ist ein richtig platzierter Futterkorb mit der richtigen Maschenweite ein perfektes Habitat für das Makrozoobenthos. Ein weiterer Vorteil ist, dass Stroh aus Strohballen gepresst ist und es somit eine ganze Weile dauert, bis so ein Korb geleert ist. Die Kleinlebewesen fühlen sich offensichtlich wohl im Stroh; bei Kontrollen der Futterkörbe „wuselt“ es geradezu, nach rund vier Monaten sei so ein Korb leergefressen und könne wieder frisch befüllt werden, sagt Stefan Baur, der die Körbe einsetzt. Nach einigen Versuchen haben stabile, aus Stahl konstruierte, wiederbefüllbare Futterkörbe mit einer Maschenweite von zwei bis drei Zentimetern die besten Resultate gebracht, doch noch immer sind die Fischer am Experimentieren. Wichtiger aber als die Maschenweite oder das Material, sei der Standort, betont Baur. So braucht es erstens genügend Strömung und zweitens eine ausreichende Wassertiefe, damit der Korb möglichst ganzjährig vollständig unter Wasser ist. Die Körbe, die Stefan Baur in Zusammenarbeit mit einer Gartenbaufirma (Lehnert AG) herstellt, haben eine ausreichende Maschenweite, damit sich im Innenraum auch Jungfische einfinden können. Diese nehmen die willkommene Futterquelle instinktiv an, so findet man Jungforellen, Groppen und andere kleinere Fische, aber auch Libellenlarven und räuberische Köcherfliegenlarven direkt in den Futterkörben. Selbst die in der Bünz eingesetzten Junglachse bedienten sich am reichhaltigen Buffet. Zudem sind die Stahlkörbe für Jungfische ein optimaler Versteckplatz vor Prädatoren jeglicher Art. Der Zuwachs an Nährtieren bleibt auch nicht auf die Körbe beschränkt. Futtertiere werden beständig mit der Strömung verfrachtet und bilden eine willkommene Nahrungsfahne. Stefan Baur ist noch immer erstaunt, wie durchschlagend erfolgreich das Futterkorb-Konzept ist: „Dass dank der Körbe eine Verdoppelung der Forellerträge möglich ist, hätten wir anfänglich nicht für möglich gehalten. Mittlerweile können wir dies bei sachgemäßer Einbringung der Körbe garantieren.“ Wie genau die Körbe verankert werden, welche Korbgröße gewählt werden soll und in welchen Abständen an welchen Stellen die Körbe schließlich platziert werden, ist von Gewässer zu Gewässer unterschiedlich. Erfahrungswerte müssen dabei selbst gesammelt werden, doch man lernt dank zügiger Besiedelung recht schnell dazu. Wenn Sauerstoff, Futter und Unterstände vorhanden sind, sind auch heute noch gute Bachforellenbestände möglich, ist Baur überzeugt.
Von außen ist Kolmation nicht erkennbar, stellt jedoch ein großes Problem dar. Wir Fischer sind in der Lage, sie zeitnah und auch kleinräumig zu erkennen und zu reagieren – wie Stefan Baur.
INFOBOX Körbe auf Anfrage & Hilfe vor Ort Stefan Baur fertigt auf Anfrage gerne maßgeschneiderte Futterkörbe zum Selbstkostenpreis an. Er unterstützt dabei auch sehr gerne vor Ort, hilft bei der Größenfindung und Platzierung der Körbe, wenn die Reisekosten übernommen werden. Interessierte Vereine oder Pächter können sich gerne bei ihm telefonisch oder per Mail melden: stefanbaur@gmx.ch Tel.: 079 404 24 62 Weitere Informationen zum Thema Makrozoobenthos und Futterkörbe finden sich im neu erschienenen „Das große Revitalisierungsbuch“ von Roland Herrigel.
INTERVIEW MIT DEM FLIEGENFISCHER STEFAN BAUR
„Es ist Fünf nach Zwölf …“
… sagt der schweizer Fliegenfischer Stefan Baur. Mit ihm sprach unser Autor Axel Wessolowski über Eigeninitiativen beim Gewässerschutz, den Versäumnissen bei den öffentlichen Stellen, der Zukunft unserer Gewässer und natürlich auch über den Erfolg der Futterkörbe.
Axel Wessolowski: Du bist Fliegenfischer in der Schweiz – welche Gewässer sind dort Deine Hausgewässer? Stefan Baur: Das war die Bünz [Kanton Aargau, Anm. d. Red.], wir haben sie noch bis Ende Juni. Danach können wir dort nicht mehr Fischen. Ich selbst fische noch an der Wyna in Unterkulm und in Gränichen. Dann habe ich die Ürke in Holziken und die Ergolz in Liestal. Randnotiz Der Pachtvertrag wurde aufgelöst, ab Juni 2021 übernimmt der Kanton die Pacht. Aktuell ist der Plan, die Bünz ausschließlich für die Weiterbildung von Jungfischer in allen Bereichen zu nutzen. Siehst Du Dich als Fliegenfischer noch mehr in der Verantwortung, Dich um ein Gewässer zu kümmern? Ja, auf alle Fälle. Ich hab früher, ganz früher, auch mit Wurm und Löffel gefischt. Ich bereue das heute. Ich bereue, dass ich jemals einen Fisch getötet habe. Das kommt heute nicht mehr vor. Ich habe meine Einstellung komplett geändert. Letztendlich sind auch wir [die Fliegenfischer, Anm. d. Red.] diejenigen, die den Bach reinigen. Wir schauen, dass es Totholzstauungen gibt. Wir machen die Buhnen. Wir machen Futterkörbe. Alles, um den Bestand [der Lebewesen, Anm. d. Red.] zu erhalten. Ich glaube, man muss heute einfach umdenken. Die Zeit, als man fünfhundert Kilo Fische in einen Bach gesetzt hat, ist vorbei. Woran hast Du die negativen Auswirkungen einer Kolmation gemerkt? Natürlich durch die komplette Verhärtung der Bachsohle. Es kommt aber auch immer darauf an, welches Gewässer es ist. Es gibt ja sehr viel Gummiabrieb von Autoreifen. Das kommt natürlich auch noch dazu. Von den Kleinlebewesen, die absterben, bis zu den Feinsedimenten – sprich Bauarbeiten. All das ist ja maßgebend, dass du die Steine nicht mehr einfach umdrehen kannst, wie früher, und drunter siehst, ah hier, da gibt‘s Kleinlebewesen. In der Bünz musst du einen Presslufthammer oder Meißel nehmen, um einen Stein lösen zu können. Ein paar Ursachen hast Du ja bereits angesprochen, wie Kraftwerke und Stauungen am falschen Ort – wie sieht es in der Schweiz mit der Landwirtschaft aus? Wir hatten gerade eine Abstimmung, da ging es um die Pestizide. Man wollte das verbieten. Die Bauern haben die Plakate heruntergerissen. Leider wurde diese Abstimmung verneint, mit etwa sechzig Prozent. Was man tun kann: Gewässergürtel bei den Gewässern. Bei der Bünz haben wir – es ist zwar keine einheimische Pflanze – Brombeersträucher und sehr viele Brennnesseln gesät. Und wir hatten einen Gürtel von mindestens zehn Meter Breite. Der Bauer, der die Gülle auf den Feldern verteilt, konnte nicht nah ans Gewässer ran. Die Gabione* wirken nur den Symptomen entgegen, die Ursachen bleiben. Was muss aus Deiner Sicht für die Verbesserung der Gewässer getan werden? Ich glaube, Axel, wir haben fünf nach Zwölf. Ich glaube nicht, dass es da, ehrlich gesagt, noch eine Lösung gibt. Eine Lösung gäbe es schon, aber der Mensch müsste sich derart massiv einschränken. Die Umweltverschmutzung ist enorm. Ich bin nicht Pessimist, ich möchte Optimist sein, aber ich seh‘ auch die Realität. Ich kann helfen mit den Futterkörben. *Randnotiz Statt Gabione, die per Definition mit Steinen gefüllte Käfige sind, verwendet Stefan Baur lieber den Begriff der Futterkörbe. Wie kamst Du auf die Idee mit Gabionen zu arbeiten? Ich hab mir einfach überlegt, wenn der Bach kolmatiert ist und keine Lebewesen mehr hat unter den Steinen – dann muss man etwas tun. Marco Momenté, unser Biologe und Vorstandsmitglied vom Fischereiverein Ergolz, hat dann eben diese Strohballen in die Pools geworfen. Das war eine gute Sache, aber wir haben sie verloren, bei Hochwasser. Und dann kam ich auf die Idee mit den Gabionen, wo man das Futter am Platz halten kann. Seit wie vielen Jahren experimentierst Du jetzt schon mit den Gabionen? Mit dem Anfang sind es etwa vier Jahre. Die Theorie und die Praxis kamen dann durchschlagend in der Bünz. Das ist wahrscheinlich eine sehr deutsche Frage: Ist eine Absprache bei den Gabionen mit öffentlichen Stellen erfolgt? Ich habe das einfach gemacht! Der Kanton hat natürlich Kenntnisse davon. Aber weißt du, die Schweizer Behörde – das ist so eine Sache. Die wissen das schon vom Kanton, und die sind auch komplett dafür, das weiß ich auch, aber es würde nie einer vom Kanton kommen und sagen: „Hey, Herr Baur, machen Sie uns ein paar Futterkörbe.“ Von dem hohen Ross kommt da keiner runter … Was rätst Du denjenigen, die selbst ihr eigenes Futterkorbprojekt starten wollen? Das kann natürlich jeder selbst machen. Er kann mich anrufen, und ich werde ihm erklären, wie er es machen soll. Ich will, dass sie eingesetzt werden, und dass die Pächter sehen, wow, wir haben wenigstens ein Problem in den Griff bekommen. Der Erfolg gibt Dir recht – schon mal daran gedacht, mit Wissenschaftlern zu kooperieren und zu veröffentlichen? Also ein Public-Science-Projekt daraus zu machen?! Das würde ich sehr gern; so weit bin ich noch nicht gegangen. Natürlich möchte ich das bekannt machen, das ist mein Ziel. Natürlich möchte ich die Unterstützung der Wissenschaft für diese Projekte. Weil ich garantiere es jedem: Sofern das Wasser einigermaßen dem heutigen Standard in der Qualität hat, ist nach vier, fünf Monaten der Futterkorb voll. Passiert seitens der Behörden zu wenig? Letztendlich haben wir auch z.B. die europäischen Wasserrahmenrichtlinien?! Ich muss mich da vorsichtig ausdrücken (stöhnt und zögert). Es ist ein schwieriges Thema. Da könnte Roland Herrigel lückenlos Auskunft geben … Weißt du, das Papier nimmt alles an. Man muss in Sachen Fischereigesetzgebung umdenken. Man muss in Sachen Bewirtschaftung eines Gewässers weitergehen. Man muss auch dort umdenken. Die Zeiten von Früher sind vorbei. Die Behörden (zögert) – ich glaube, sie machen wirklich zu wenig oder oft das Falsche. Zehn Jahre in die Zukunft: Was erhoffst Du Dir für die Schweizer Gewässer? Ich erhoffe mir in erster Linie genug Wasser. Ich hoffe, dass die Temperaturen nicht allzu sehr steigen, dass die Wassertemperatur unter zwanzig Grad bleibt. Unsere Behörden sind in Sachen Fortschritt etwas hinten dran. Ich hoffe einfach, dass sich da vieles ändern wird. Dass unsere Fische wirklich bestehen können in den Schweizer Gewässern. Dass man für die Gewässer Sorge hält. Wasser ist unser wichtigstes Element. Ohne sauberes Wasser, da sterben wir alle!
Kommentar von Axel Wessolowski
Genial und leider nötig … Der Einsatz von strohgefüllten Metallkäfigen ist einfach wie genial. Nur darf dabei nicht vergessen werden, dass sie nur ein Symptom von vielen lindern, meint unser Autor und Biologe Dr. Axel Wessolowski.
Auf den Punkt gebracht bedeutet eine Kolmation die Verstopfung des Gewässergrunds. Da es verschiedene Ursachen für eine Kolmation gibt und auch die Art dieser Verstopfung nicht einheitlich ist (Stichworte innere und äußere Kolmation), ist es insgesamt ein komplexes Thema. Ist das auch der Grund, warum es so wenig Forschung und Erkenntnisse zu diesem Thema gibt? Wirklich Beachtung findet das Phänomen in der Literatur nur geringfügig und auch erst seit den 1990er Jahren. Was ist da los? An der Bedeutung kann es nicht liegen, denn der Verlust von Lebensraum – und um genau diesen handelt es sich bei einer Kolmation – ist aufgrund der möglichen schädlichen Folgen immer relevant. Das Perfide an der Kolmation ist die Schwierigkeit, sie als solche zu erkennen, und selbst renaturierte Strecken, mit schönen, kiesigen Abschnitten, können unerkannt betroffen sein. Umso wichtiger die Rolle aufmerksamer Fischer, die Veränderungen, sowohl zum Guten als auch zum Schlechten, mit als Erste erkennen. Ist der Fall der „Bodenversiegelung“ tatsächlich eingetreten, kommen die Gabionen zu ihrem großen Auftritt. Wie viele Medikamente bekämpfen sie allerdings nur das Symptom – die Ursache, das eigentliche Problem –, bleibt indes. Dennoch: die mit Stroh gefüllten Käfige geben dem Fluss ein Stück Lebensraum zurück und wirken folglich gewässerverbessernd, bei relativ geringem Arbeitsaufwand und geringen Kosten. Damit werden dann auch sicherlich die europäischen Wasserrahmenrichtlinien schneller umgesetzt. Die sollen ja bis 2021 umgesetzt sein. Was? Wir haben schon 2021! Dabei wurde doch so viel Positives im Vorfeld geschrieben. Da ist von der Schaffung eines Ordnungsrahmens, guten ökologischer und chemischer Zustände oder auch einem Verschlechterungsverbot geschrieben worden. Alles nur Variationen von Blah?! Bevor gar nichts passiert, lobe ich mir die Initiative der Flussliebhaber, die nicht darauf warten wollen, bis jemand anderes von öffentlicher Seite endlich das Richtige tut. Die Gefahr dabei sehe ich jedoch im Verschleiern der eigentlichen Ursachen. Im Fall von Kolmationen gibt es sehr viele unerwünschte Einträge in die Gewässer, die ihren Ursprung in einer nicht nachhaltigen Landwirtschaft, in der Denaturierung von Gewässern oder in den Querverbauungen zur Gewinnung von „grünem“ Strom oder zum „effektiven“ Hochwasserschutz haben. Viele unserer Gewässer sind krank. Da sind Maßnahmen wie der Einsatz von Futterkörben hilfreich. Will man aber die Patienten wirklich wieder fit bekommen, muss das Übel an der Wurzel gepackt werden. Es gehört einiger Einsatz, doch kein Wunder dazu, langfristig mehr als nur naturnahe Gewässer zu bekommen und „In vielen Fällen wird es möglich sein, die Gewässerunterhaltung künftig fast ganz einzustellen.“ (Aus: Lebendige Bäche und Flüsse – Praxistipps zur Gewässerunterhaltung und Revitalisierung von Tieflandgewässern, Madsen und Tent, 2000, Edmund Siemers-Stiftung).